Stellungnahme des Legal Tech Verband Deutschland

Zur Evaluierung des Gesetzes zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt

Der Legal Tech Verband Deutschland (im Folgenden “Verband”) begrüßt die Gelegenheit zur Stellungnahme zur Evaluierung des Gesetzes zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt. Als Verband, der sich als Interessensvertretung der gesamten Legal-Tech-Branche sieht, ist unser Ziel die Stärkung eines freien und wettbewerbsfähigen Rechtsmarktes sowie die Verbesserung des Zugangs zum Recht für Verbraucherinnen und Verbraucher.

Unsere Stellungnahme basiert auf den Ergebnissen einer intensiven Diskussion unserer digitalen Mitglieder-Expertenrunde. Anlässlich der anstehenden Evaluierung des Bundesministeriums der Justiz haben wir im Vorfeld eine Videokonferenz mit unseren Mitgliedern durchgeführt. Es gab dort eine rege Beteiligung von Legal Tech Unternehmen, Kanzleien, Rechtsabteilungen und anderen Mitgliedergruppen. Die vorliegende Stellungnahme ist damit ein direkter Spiegel aus den Erfahrungen der Praxis am deutschen Rechtsmarkt.

In dieser Stellungnahme wird zur besseren Lesbarkeit überwiegend das neutrale Maskulin verwendet. Selbstverständlich sind damit stets alle Geschlechter gemeint.

1. Einleitung und Rückblick auf unsere Stellungnahme vom 14. Juni 2021

Bereits in unserer Stellungnahme vom 14. Juni 2021 zum Gesetz zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt (https://www.legaltech- verband.de/aktivitaeten/stellungnahme-zum-legal-tech-gesetz/) hatten wir deutlich gemacht, dass das Gesetz ein wichtiger, aber unzureichender Baustein für die Liberalisierung des Rechtsmarktes darstellt. Wir begrüßten insbesondere die Einführung von Erfolgshonoraren für Rechtsanwälte und die Rechtssicherheit für Legal Tech-Angebote im sogenannten „Inkasso-Modell“. Gleichzeitig hatten wir gefordert, die Begrenzung auf Streitwerte von 2.000 Euro aufzuheben und die wirtschaftliche Asymmetrie zwischen Rechtsanwälten und Inkassodienstleistern zu beseitigen. Die herrschende unterschiedliche Regulierung führt zu einer Benachteiligung der Rechtsanwälte.

Diese Forderungen sind nach wie vor aktuell. Die Erfahrungen der letzten drei Jahre bestätigen, dass Erfolgshonorare und Prozesskostenfinanzierungen den Zugang zum Recht erheblich erleichtern. Das liegt gerade an der mit Erfolgshonoraren verbundenen Risikoeinschränkung für Verbraucher. Wir sehen uns bestärkt in unserem Anliegen, diese Regelungen weiter zu liberalisieren, um so die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Rechtsdienstleistungsbranche zu fördern.

2. Sachkunde von Inkassodienstleistern

Die im Gesetz geforderten Sachkundeanforderungen für Inkassodienstleister erweisen sich aus Sicht des Verbands als ausreichend. Dies wird durch die Praxiserfahrung gestützt: In den letzten Jahren wurden uns keinerlei Beschwerden über mangelnde Qualität oder unzureichende Sachkunde von Inkassodienstleistern zugetragen. Im Gegenteil haben diese Dienstleister dazu beigetragen, den Zugang zum Recht zu erweitern. Erfolgsbeispiele aus der Praxis werden regelmäßig auf den Webseiten unserer Mitglieder veröffentlicht und belegen diesen Fortschritt.

3. Rechtssicherheit durch einen weiteren Inkassobegriff

Der weite Inkassobegriff hat sich in der Praxis als äußerst bewährt erwiesen. Er schafft nicht nur mehr Beratungsmöglichkeiten für Legal Tech-Dienstleister, die auf bestimmte Rechtsbereiche spezialisiert sind, sondern ermöglicht diesen auch die notwendige Beratungskompetenz im Rahmen ihrer Tätigkeit. Dies ist insbesondere im Hinblick auf die Verjährungsrisiken bei Klagen im Rahmen eines Abtretungsmodells – wie bei den damaligen gebündelten Dieselklagen von myright und anderen Anbietern – von zentraler Bedeutung. Durch die geschaffene Rechtssicherheit konnten Verbraucherinnen und Verbraucher ihre Ansprüche erfolgreich durchsetzen, ohne einem erhöhten Risiko der Verjährung im Rahmen eines Abtretungsmodells ausgesetzt zu sein. Diese Entwicklungen verdeutlichen den Nutzen des weiten Inkassobegriffs sowohl für Verbraucherinnen und Verbraucher als auch für spezialisierte Dienstleister.

4. EINORDNUNG DES ROTT-GUTACHTENS DER VERBRAUCHERZENTRALE BUNDESVERBAND E.V.

Das Rott-Gutachten hebt hervor, dass Legal Tech-Dienstleistungen mittlerweile eine bedeutende Rolle beim Zugang zum Recht spielen, insbesondere angesichts der begrenzten Ressourcen von Verbraucherorganisationen und Hindernissen beim Zugang zu rechtsanwaltlicher Unterstützung. Die Kritik, Legal Tech würde lediglich „mehr Zugang zu weniger Recht“ bieten, ist jedoch stark verkürzt. Vielmehr ermöglicht Legal Tech in vielen Fällen die Durchsetzung von Ansprüchen, die andernfalls gar nicht geltend gemacht würden. Der Erfolg der Legal Tech-Branche beruht auf einem hohen Maß an Spezialisierung, gepaart mit einem durch die Rechtsprechung des BGH und die Reform des RDG geschaffenen hohen Maß an Rechtssicherheit. Legal Tech-Dienstleistungen zeichnen sich gerade nicht nur dadurch aus, dass sie eine Vielzahl von Verbrauchern erreichen und diese auch dazu bewegen können, ihre bestehenden Ansprüche gegen häufig übermächtige erscheinende Gegner auf der Unternehmensseite durchzusetzen. Vielmehr gelingt es Legal Tech-Anbietern – wie bspw. Flightright – auch juristisches Know-How zu bündeln und damit einen juristisch äquivalenten Gegner auf Verbraucherseite gegen die oft durch Großkanzleien vertretenen Anspruchsgegner aufzubauen.

Die verbleibende Rechtsunsicherheit in Randbereichen, wie bei Kartell- oder Datenschutzansprüchen, unterstreicht die Notwendigkeit weiterer Klarstellungen durch den Gesetzgeber, insbesondere in Bezug auf die Negation der Nichtigkeitsfolge des § 134 BGB auf der dinglichen Abtretungsebene. Ohne eine solche Klarstellung des Gesetzgebers müssten letztlich die Verbraucher bei langen Verfahren das Risiko einer Verjährung tragen, wenn eine Abtretung als unwirksam erachtet wird.

Zudem greift das Gutachten die mangelnde Transparenz bei Legal Tech-Anbietern auf. Es betont die Notwendigkeit klarer Informations- und Kommunikationspflichten, wie sie etwa im britischen Recht vorbildlich umgesetzt sind. Wir begrüßen Ansätze, die Transparenz und Nachvollziehbarkeit für Verbraucherinnen und Verbraucher zu stärken, lehnen jedoch eine Überregulierung ab, die den Innovationsspielraum der Anbieter und damit auch den Wirtschafts- und Innovationsstandort Deutschland einschränken würde.

5. WETTBEWERBSASYMMETRIEN UND PROZESSKOSTENFINANZIERUNG

Wir sehen weiterhin eine wettbewerbliche Asymmetrie zwischen Rechtsanwälten und Inkassodienstleistern. Inkassodienstleister dürfen außergerichtlich äquivalente Leistungen wie Rechtsanwälte erbringen, unterliegen aber nicht den berufsrechtlichen Beschränkungen der Rechtsanwälte, wie beispielsweise dem Provisionsverbot nach § 49b Abs. 3 Satz 1 BraO und dem immer noch weitgehenden Verbot von Prozessfinanzierungen nach § 49b Abs. 2 Satz 2 BraO.

Während Inkassodienstleister Prozesskosten umfassend finanzieren können, ist dies Rechtsanwälten weiterhin nur in einem geringen Umfang erlaubt. Diese ungleiche Behandlung führt zu einer erheblichen Wettbewerbsverzerrung, insbesondere in Bereichen, in denen Rechtsanwälte und Inkassodienstleister mit derselben Zielgruppe arbeiten, etwa bei der Durchsetzung von Verbraucherrechten oder Schadensersatzforderungen.

Die Erfahrungen aus dem Inkassobereich zeigen deutlich, dass die Möglichkeit der Prozesskostenfinanzierung nicht nur wirtschaftlich tragfähig, sondern auch effektiv ist, um Risiken für Verbraucherinnen und Verbraucher zu minimieren. Durch die Übernahme von Kosten werden Mandanten vor finanziellen Belastungen geschützt, während gleichzeitig der Zugang zum Recht erleichtert wird. Diese Praxis sorgt dafür, dass auch einkommensschwächere Bevölkerungsschichten ihre Ansprüche durchsetzen können. Vor diesem Hintergrund plädieren wir für eine Aufhebung der bestehenden Einschränkungen für Anwälte. So werden gleiche Wettbewerbsbedingungen geschaffen und die Effizienz und Attraktivität anwaltlicher Dienstleistungen erhöht. Eine Gleichstellung von Rechtsanwälten und Inkassodienstleistern in Bezug auf die Regelungen bei der Prozesskostenfinanzierung sorgt für einen fairen und transparenten Rechtsmarkt. Wir plädieren für eine Aufweichung der Einschränkungen für Rechtsanwälte, um gleiche Wettbewerbsbedingungen zu schaffen. In unserer Expertenrunde wurde sich von einem unserer Mitglieder dazu folgendermaßen geäußert: „Ich sehe keine Bedenken, die Liberalisierung hier weiter voranzutreiben.“

6. AUFHEBUNG DER STREITWERTGRENZE

Die im Gesetz festgelegte – durchaus willkürlich erscheinende – Streitwertgrenze von 2.000 Euro hat keinerlei Grundlage und ist nicht mit den wirtschaftlichen Anforderungen eines modernen Rechtsmarktes vereinbar. Sie ist aus unserer Sicht nicht mehr zeitgemäß und stellt eine künstliche Einschränkung dar, die innovative Geschäftsmodelle unnötig behindert. Wir plädieren für eine Abschaffung dieser Streitwertgrenze. Dies würde die Nutzung von Erfolgshonoraren erleichtern und zu einer Liberalisierung des Marktes beitragen. Eine Erhöhung der Grenze auf 5.000 Euro könnte als Kompromiss betrachtet werden, um eine schrittweise Liberalisierung zu ermöglichen. Zumindest hat eine Grenze von 5.000 EUR eine sachliche Rechtfertigung in § 23 Nr. 1 GVG und dem damit bis zu dieser Grenze regelmäßig nicht greifenden Anwaltszwang.

Wir möchten jedoch betonen, dass auch diese höhere Grenze keine dauerhafte Lösung darstellt. Unser Ziel bleibt ein freier Markt ohne Streitwertgrenze, um den Zugang zum Recht für alle Beteiligten zu erleichtern und das volle Potenzial von Erfolgshonoraren auszuschöpfen. Ein weiteres Mitglied erklärt hierzu: „Die Argumentation mit Interessenskonflikten ist unehrlich. Erfolgshonorare fördern den Zugang zum Recht, ohne die Unabhängigkeit zu gefährden.“ Eine vollständige Aufhebung der Streitwertgrenze würde die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Rechtsdienstleistungsbranche stärken und es Rechtsanwälten ermöglichen, Mandanten auch in komplexeren oder finanziell anspruchsvollen Verfahren umfassend zu unterstützen. Diese Reform wäre ein wichtiger Schritt hin zu einem modernen, effizienten und gerechten Rechtsmarkt.

7. KEINE GEFÄHRDUNG DER UNABHÄNGIGKEIT VON RECHTSANWÄLTIN- NEN UND RECHTSANWÄLTEN

Aus der bisherigen Praxis gibt es keinerlei Hinweise darauf, dass die Einführung von Erfolgshonoraren oder die Möglichkeit der Prozesskostenfinanzierung durch Rechtsanwälte die Unabhängigkeit der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte gefährdet haben. Die Erfahrungen der letzten drei Jahre zeigen, dass diese Instrumente effektiv genutzt werden können, ohne die berufliche Integrität oder die Interessenvertretung der Mandanten zu beeinträchtigen. Mitglieder des Verbands bestätigten uns, dass keine Interessenkonflikte oder andere Risiken im Zusammenhang mit diesen Regelungen bekannt geworden sind. Dies unterstreicht die Eignung dieser Maßnahmen zur weiteren Förde- rung des Zugangs zum Recht.

8. FAZIT UND AUSBLICK

Wir unterstützen Reformen, die den Rechtsmarkt liberalisieren und Wettbewerb fördern. Unsere Stellungnahme und die darin enthaltenen Forderungen spiegeln die Erkenntnisse und Rückmeldungen unserer Mitglieder und deren Erfahrungen aus der Praxis wider. Wir sehen die Evaluierung zum Legal-Tech Gesetz als Chance, auf die bestehenden Hindernisse hinzuweisen und den Zugang zum Recht für Verbraucherinnen und Verbraucher so weiter zu verbessern. Die Aufhebung der Streitwertgrenze, die Ausweitung der Erfolgshonorare sowie die Angleichung der Rahmenbedingungen zwischen Rechtsanwälten und Inkassodienstleistern sind notwendige Schritte in diese Richtung.

Wir danken dem Bundesministerium der Justiz für die Gelegenheit zur Stellungnahme und stehen für weitere Gespräche sowie die Einbindung in den Reformprozess jederzeit gerne zur Verfügung.