Die Bundesregierung hat am 20. Januar 2021 einen Gesetzentwurf für Legal Tech in Deutschland beschlossen, zu dem der Legal Tech Verband Deutschland am selben Tag Stellung genommen hat. Am 25. März erfolgt die erste Lesung des Reformpaketes im Bundestag, im Mai finden die zweite und dritte Lesung statt.
Das Vorhaben ist unter Beschuss der traditionellen Anwaltsverbände gekommen, die das Berufsrecht zur Domestizierung der deutschen Anwaltschaft (“keine Selbstkommerzialisierung”) und zum Schutz von Marktanteilen gegen neue Akteure im Rechtsmarkt einsetzen möchten und sich im Bundesrat Gehör verschafft haben. Die Bundesregierung hat ihren Reformansatz zuletzt in einer Stellungnahme vom 10. März (PDF oben angehängt) gegenüber dem Bundesrat herausgearbeitet und vertieft.
Der Legal Tech Verband Deutschland unterstützt das Reformvorhaben. Wir haben in unserer Stellungnahme zum Referentenentwurf vom 7. Dezember 2020 noch sehr viel weiter reichende Maßnahmen zur Öffnung des Rechtsmarktes gefordert. Aber wir sind der Auffassung, dass sich auch im aktuellen Reformpaket ein paar gute und mutige Fortschritte für den deutschen Rechtsmarkt finden (dazu unsere Stellungnahme vom 6. Januar 2021), die es jetzt umzusetzen gilt – und die in weiteren Reformen entwickelt werden können.
Ein erster wichtiger Punkt ist die Einführung von Erfolgshonoraren für Anwälte. Sie bekommen die Möglichkeit, Erfolgshonorare und Prozessfinanzierung bis 2000 Euro Streitwert bei gerichtlichen Verfahren und unbegrenzt im außergerichtlichen Bereich anzubieten. Das ist ein erster Schritt, um den Anwälten in Deutschland mehr Gestaltungsfreiheit zu verschaffen. Denn oft stehen die starren gesetzlichen Vergütungsregeln nicht in einem vernünftigen Verhältnis zu den Kostenrisiken der Mandanten und zu den Chancen einer flexibleren Risikoverteilung im Mandat. Deshalb begrüßt der Verband die Einführung von Erfolgshonoraren.
Zweitens bringt die Reform eine dringende Verbesserung der Rechtssicherheit für Legal Tech Angebote, die als Inkassodienstleister operieren. Einige Instanzgerichte (München, Augsburg, Ingolstadt, Hannover) hatten zuletzt im LKW-Kartell, bei Diesel-Klagen und in anderen Auseinandersetzungen myright, financialright und Cartel Damage Claims unter Hinweis auf eine angeblich „nicht inkassotypische“ Vorgehensweise das Recht zur Vertretung von Geschädigten verweigert. Damit stehen Tausende von Geschädigten vor dem Nichts, obwohl sie Forderungen auf registrierte und zugelassene Anbieter übertragen haben, die anwaltlich vertreten sind. Der Gesetzentwurf stellt jetzt endlich klar, dass Ansprüche gebündelt und finanziert werden dürfen, und dass diese Geschäftsmodelle nicht auf außergerichtliche Durchsetzung von Forderungen beschränkt sind.
Dies sind erste, wichtige Schritte für Kanzleien und für alle anderen Anbieter von Rechtsberatung, um Investitionen zu erleichtern das Potenzial von Technologie und Skalierung für die Rechtsberatung auszuschöpfen, und damit den Zugang von Verbrauchern und Unternehmen zum Recht verbessern. Und es geht keineswegs auf Kosten der Anwälte, sondern verschafft ihnen häufig zusätzliche Betätigungsfelder, denn die Vertretung von Verbrauchern und Unternehmen vor Gericht bleibt Anwälten vorbehalten.
Erst die Bündelung der Ansprüche und die Übernahme des Prozesskostenrisikos durch Inkassodienstleister oder andere Finanzierer erlauben es zum Beispiel, ein Level Playing Field gegenüber der Volkswagen AG im Diesel-Komplex herzustellen. Denn so können die Geschädigten von der Expertise der Berater profitieren, die zahlreiche Fälle bündeln, und Verhandlungsmacht entwickeln. Das ist der zentrale gesellschaftliche Fortschritt, den Legal Tech verkörpert: Viele Verbraucher, aber auch viele Unternehmen machen ihre Schadenersatzansprüche gar nicht geltend, wenn sie sie allein durchsetzen müssten, weil sie das Kostenrisiko und die ungewissen Aussichten scheuen („rationales Desinteresse“). Hier liegt auch der Unterschied zum klassischen Verbraucherschutz und zur Muster-Feststellungsklage, bei denen die Geschädigten auf sich selbst gestellt sind. Es ist nur fair, dass Anbieter wie myright oder die Deutsche Bahn, die für den Fall der Niederlage den Geschädigten das volle Kostenrisiko abnehmen, im Falle eines gerichtlichen Erfolgs eine Provision von den Forderungsinhabern erhalten. Wenn diese Auseinandersetzungen nicht vor deutschen Gerichten mit Rechtssicherheit versehen werden, wandern sie – wie schon jetzt – mehr und mehr nach Holland und Großbritannien ab, wo sich deutsche Unternehmen sodann verteidigen müssen.
Ein Scheitern des Gesetzgebungspaketes, wie es insbesondere von der Bundesrechtsanwaltskammer und dem Deutschen Anwaltverein angestrebt wird, würde Deutschland weiter zurückwerfen im Vergleich mit Ländern, die – wie die USA, Großbritannien, aber auch die Schweiz und viele skandinavische Länder – bereits vor Jahren den Rechtsmarkt für eine Vielzahl von Anbietern geöffnet haben, und damit die Voraussetzungen für einfache und kostengünstige Beratungsangebote geschaffen haben, ohne die Anwaltschaft zu destabilisieren oder zu schwächen. Der geographische Online-Überblick “CodeX LegalTech” der Stanford Universität weist die USA als klaren Weltmarktführer und Großbritannien als europäische Nummer 1 aus.
Trotzdem hat der Bundesrat am 5. März 2021 in einer Stellungnahme zum Gesetzesprojekt gefordert, anwaltliche Erfolgshonorare zu deckeln, die Prozessfinanzierung durch Inkassodienstleister zu erschweren und bestimmte Rechtsgebiete von der Abwicklung über diese Akteure völlig auszuschließen. Die Bundesregierung ist fast allen Forderungen des Bundesrats in einer Gegenäußerung vom 10. März (PDF unten angehängt) überzeugend entgegengetreten.
Sie hat dort, auch mit Blick auf ihren eigenen Gesetzentwurf vom 20. Januar, klargestellt, dass Inkassodienstleister als Partei eines gerichtlichen Verfahrens auftreten können und das RDG dazu weder jetzt noch in Zukunft Beschränkungen vorsieht („Die Zulässigkeit gerichtlicher Aktivitäten von Inkassodienstleistern richtet sich ausschließlich nach der ZPO.“, S. 20 f.). Die Forderung des Bundesrates, bestimmte „komplexe Rechtsmaterien“ gar nicht für Abtretungsmodelle zu gestatten (Kartellrecht, Naturschutzrecht, Anfechtungsklagen), bezeichnet die Bundesregierung zu Recht als falsch (S. 6). Denn was komplex ist, hängt vom konkreten Fall und Lebenssachverhalt ab, und auch nicht-anwaltliche Akteure haben in den vergangenen Jahren bewiesen, dass sie damit umgehen können. Oder verfolgen einige Bundesländer hier auch finanzielle Interessen, weil sie sich als Beklagte im “Rundholzkartell” auf diesem Wege Kartellschadenersatzansprüchen der Sägeindustrie in Höhe von 830 Millionen Euro entziehen könnten (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 5. März, “Kartellklagen gegen Daimler ausgeweitet” – PDF unten angehängt)?
Wir bitten den Bundestag und insbesondere die Parlamentarier im Rechtsausschuss, bei den folgenden Punkten noch mehr Klarheit zu schaffen. Es sind allesamt Punkte, die Kerngedanken der Reformgesetzgebung aufgreifen, die auf dem Tisch liegt:
1) Prüfung der Geschäftsmodelle von Inkassodienstleistern (§§ 13 und 13f RDG-E)
Das Gesetz sieht vor, dass alle „Nebenleistungen“, die nach der Zulassung der Geschäftsmodelle durch die RDG-Aufsicht hinzukommen (“Registrierung”), der Aufsicht angezeigt werden müssen, welche sie innerhalb von zwei Monaten untersagen kann (§ 13 Abs. 5 RDG-E). Das kann bedeuten, dass alle Veränderungen des Geschäftsmodells künftig meldepflichtig und untersagungsfähig sind. Das ergibt keinen Sinn, denn die Angebote im Rechtsmarkt entwickeln sich ständig weiter, häufig im Monatstakt. Hier ist eine Regelung erforderlich, wonach nur wesentliche Änderungen des Geschäftsmodells angezeigt werden müssen – sonst entsteht ein Verwaltungsmonster, das die Vorteile an Rechtssicherheit, die es schaffen will, wieder auffrisst. Außerdem muss die RDG-Aufsicht, die aktuell bei den Justizverwaltungen der Länder liegt, zentralisiert und mit Know-how ausgestattet werden, um digitale Geschäftsmodelle zu verstehen und schnell zu prüfen.
2) Kein Interessenkonflikt bei umfassender Information der Verbraucher (§ 4 und 13f Absatz 1 RDG-E)
Der Gesetzentwurf sieht vor, dass Anbieter von Legal Tech Diensten ihre Mandanten umfassend über ihr Geschäftsmodell, seine Finanzierung und die Abwicklung der Anspruchsdurchsetzung informieren (§ 13f RDG). Soweit die Information des Rechtssuchenden ordnungsgemäß erfolgt, muss ein Interessenkonflikt (§ 4 RDG) etwa wegen Vereinbarung eines Erfolgshonorars, Mitwirkung eines Prozessfinanzierers oder der Regelung zum Abschluss von Vergleichen ausscheiden. Denn genau diese Faktoren gelangen sowohl der RDG-Aufsicht als auch dem Abnehmer der Leistung im Zuge der Mandatsanbahnung und der verwaltungsrechtlichen Prüfung („Registrierung”) des Geschäftsmodells zur Kenntnis. Der Vorwurf von Interessenkollisionen hat in den vergangenen zwei Jahren zu massiver Rechtsunsicherheit geführt, weil deutsche Zivilgerichte (München, Augsburg, Hannover und Ingolstadt) dazu übergegangen sind, sehr unterschiedliche Überlegungen zum Geschäftsmodell von Prozessvehikeln etwa im Lkw-Kartell oder beim Diesel-Komplex als Interessenkonflikt zu interpretieren. Damit wurde eine Schutzvorschrift für Verbraucher und Rechtsuchende in eine Schutzvorschrift für Kartellanten und andere Rechtsverletzer umgewandelt. Das kann einfach nicht richtig sein. Hier brauchen alle Beteiligten Rechtssicherheit.
3) Rechtsfolgen von RDG-Verstößen der Legal Tech Unternehmen (§ 2 bis 4 RDG)
RDG-Verstöße der Legal Tech Anbieter (z.B. Interessenkonflikte oder Überschreitung der Rechtsberatung-Befugnis) dürfen nicht auf die Forderungen der Geschädigten “durchschlagen”. Sonst wird das Anliegen des Verbraucherschutzes auf den Kopf gestellt. Hier liegt das größte Problem in den aktuellen Auseinandersetzungen, im Diesel-Komplex, im LKW-Kartell und in anderen anderen Auseinandersetzungen mit grossen Fallzahlen: Die Gerichte lassen nicht nur die Geschäfts- und Vergütungsmodelle der Legal Tech Unternehmen häufig zu Unrecht scheitern („nicht inkassotypisch“), sondern auch die zugrunde liegenden Forderungen der Mandanten. Dass bürdet vor Allem Verbrauchern, die rechtliche Hilfe in Anspruch nehmen, das volle Risiko des Geschäftsmodells auf. Ihre Forderungen können zum Beispiel verjährt sein, wenn ein Zivilgericht im Instanzenzug zur Einschätzung gelangt, das Geschäftsmodell des Inkassodienstleisters sei nicht zulässig. Es ist aber auch unnötig, weil mit dem Reformpaket ein verwaltungsrechtliches Instrumentarium kommt, mit dem man die Anbieter von Rechtsberatung in den Griff bekommen kann.