1. Einleitung
Der Verband begrüßt die Initiative. Bestehende Ansprüche müssen in einem modernen digitalen Rechtsmarkt auch faktisch in einem angemessenen Zeitraum durchgesetzt werden können. Gerade in den sogenannten Masseverfahren scheint dies in den letzten Jahren nicht bedingungslos gewährleistet gewesen zu sein. Es besteht vor allem eine akute Notwendigkeit, die Justiz mit einer modernen Form des Verfahrensmanagements auszustatten, um diese Verfahren sachgerecht abwickeln zu können.
Daneben ist eine stringente Klärung von (gleichgelagerten) entscheidungserheblichen Rechtsfragen ein wichtiges Instrument, um die faktische Durchsetzung von bestehenden Ansprüchen zu optimieren und die Funktionsfähigkeit der Instanzgerichte zu gewährleisten.
2. Kernforderungen
Die Initiative bezweckt die zügige Klärung von zentralen Rechtsfragen durch den Bundesgerichtshof. Dieser Zweck ist uneingeschränkt zu unterstützen. Die Möglichkeit einer Leitentscheidung durch den Bundesgerichtshof ist daher zu begrüßen. Allerdings ist der Entwurf insoweit nicht weitgehend genug, als dass weiterhin aufgrund der Dispositionsmaxime höchstrichterliche Entscheidungen verhindert werden können.
Der Verband fordert daher die Initiative wie folgt zu erweitern:
- Die Sprungrevision wird ausgeweitet („Sprungrevision zur Leitentscheidung“)
- Ob eine Sprungrevision zur Leitentscheidung bestimmt wird, ist innerhalb einer Frist vom Bundesgerichtshof zu entscheiden
- Die Aussetzungsmöglichkeit des geplanten § 148 Abs. 4 ZPO wird unabhängig von der Zustimmung der Parteien konzipiert
- Evaluierung der Möglichkeit eines Vorabentscheidungsverfahrens
3. Erläuterungen
a) „Sprungrevision zur Leitentscheidung“
Der Zweck des Entwurfs kann sich in der prozessualen Realität nur verwirklichen, wenn dem Bundesgerichtshof auch zügig die Möglichkeit gegeben wird, über die Rechtsfragen im Rahmen einer Leitentscheidung zu entscheiden. Nach dem bisherigen Entwurf besteht weiterhin die Gefahr, dass vor allem durch die Berufungsinstanz eine Leitentscheidung stark verzögert oder gar verhindert wird. So besteht weiterhin die Möglichkeit, im Berufungsverfahren durch die Rücknahme der Klagen oder durch den Abschluss von Prozessvergleichen – etwa aus prozesstaktischen Gründen – eine höchstrichterliche Leitentscheidung und damit die Klärung signifikanter Rechtsfragen zu verhindern. Der geplante § 565 Abs. 1 ZPO bannt diese Gefahr nicht.
Die Lösung liegt vor allem in einer Ausweitung der Sprungrevision. Die ZPO ist dahingehend zu ändern, dass die Sprungrevision vom erstinstanzlichen Gericht bei Rechtsfragen zugelassen werden muss, deren Entscheidung für eine Vielzahl weiterer Verfahren von Bedeutung ist („Sprungrevision zur Leitentscheidung“).
Der Bundesgerichtshof sollte dann bei einer solchen „Sprungrevision zur Leitentscheidung“ innerhalb von 3 Monaten ab Eingang der Revisionserwiderung durch Beschluss entscheiden, ob das Verfahren zum Leitentscheidungsverfahren bestimmt wird. Sofern der Bundesgerichtshof eine Bestimmung zum Leitentscheidungsverfahren negiert, kann das Verfahren dann in der Berufungsinstanz von den Parteien fortgeführt werden. Nur durch eine „Sprungrevision zur Leitentscheidung“ ist sichergestellt, dass der Bundesgerichtshof in einem akzeptablen Zeitraum die signifikanten und für eine Vielzahl von Fällen entscheidungserheblichen Rechtsfragen vorgelegt bekommt. Dies ist wiederum die Grundvoraussetzung für eine schnelle Rechtssicherheit, welche die faktische Durchsetzungsmöglichkeit von bestehenden Ansprüchen fördert und die Instanzgerichte entlastet. Eine „Sprungrevision zur Leitentscheidung“ wird die Berufungsgerichte ferner unmittelbar entlasten.
b) Anpassung des § 148 Abs. 4 ZPO
Um durch eine Entlastung die Funktionsfähigkeit der Instanzgerichte sicherzustellen, darf die Aussetzungsmöglichkeit des geplanten § 148 Abs. 4 ZPO nicht von der Zustimmung der Parteien abhängig gemacht werden. Sofern es bei der jetzigen Gestaltung bleibt, hat jede Partei die Möglichkeit die Zustimmung zu verweigern und damit Verfahren, für welche die anstehende Leitentscheidung entscheidungserheblich ist, bis zur Leitentscheidung weiter durch die Instanzen zu „treiben“. Dies erscheint nicht sachgerecht, da wiederum aufgrund von prozesstaktischen Gründen oder rein wirtschaftlichen Motiven die bezweckte Entlastung der Instanzgerichte konterkariert wird.
c) Möglichkeit eines Vorabentscheidungsverfahrens?
Es sollte evaluiert werden, ob die Möglichkeit eines Vorabentscheidungsverfahrens durch Vorlage der – für Masseverfahren relevanten – Rechtsfragen durch die Instanzgerichte zum Bundesgerichtshof (ähnlich des Vorabentscheidungsverfahrens beim EuGH) ein weiteres Instrument ist, um den Zweck der Initiative maßgeblich zu fördern. Der bisherige Entwurf ist davon abhängig, dass die Parteien des Rechtsstreits das Verfahren durch die Herbeiführung von Urteilen und durch das Einlegen von Rechtsmitteln im Rahmen der Revision dem Bundesgerichtshof vorlegen. Diese Gestaltung ist nach der in der ZPO vorherrschenden Dispositionsmaxime naheliegend. Auf dem Weg zu einem modernen digitalen Rechtsmarkt, in welchem der Bürger auch faktisch in einem angemessenen Zeitraum zu seinem Recht kommen muss, sind allerdings auch bisherige Errungenschaften auf den Prüfstand zu stellen.
Gerade der Grundsatz der Dispositionsmaxime gibt den Parteien und damit letztlich auch einer Partei (indem diese den Prozessgegner durch wirtschaftliche Incentives entsprechend steuert) die Möglichkeit, die gebotene Klärung der Rechtslage stark zu verzögern.
Den Instanzgerichten durch eine – letztlich moderate – Auflockerung der Dispositionsmaxime die Möglichkeit zu geben, die für Masseverfahren relevante Rechtsfragen im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens stringent vom Bundesgerichtshof klären zu lassen, erscheint eine mutige, aber durchaus ernsthaft in Erwägung zu ziehende Überlegung. Ein solches Vorabentscheidungsverfahren (ähnlich des Vorabentscheidungsverfahrens beim EuGH) würde vor allem die bezweckte Entlastung der Instanzgerichte signifikant stärker fördern als das geplante – und zu begrüßende – Leitendscheidungsverfahren. Ein Vorabentscheidungsverfahren ist dabei nicht zwingend alternativ zum geplanten Leitendscheidungsverfahren zu sehen, vielmehr ist eine Koexistenz denkbar.