Stellungnahme des Legal Tech Verband Deutschland

Zur Evaluierung des Gesetzes zur Entwicklung und Erprobung eines Online-Verfahrens in der Zivilgerichtsbarkeit (OVErpG)

Der Legal Tech Verband Deutschland (im Folgenden “Verband”) setzt sich für die Gestaltung von fortschrittlichen, digitalen und bürgernahen Gerichtsverfahren in der deutschen Justiz ein, welche es den Bürgern ermöglichen, ihre bestehenden Ansprüche einfach, effektiv und zügig durchzusetzen.

Wir bedanken uns für die Möglichkeit, zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Entwicklung und Erprobung eines Online-Verfahrens in der Zivilgerichtsbarkeit (OVErpG) Stellung nehmen zu können.

 

1. HINTERGRUND

In den letzten Jahren hat sich die Diskussion um die Reformbedürftigkeit prozessualer und organisatorischer Strukturen der Justiz stark zugespitzt. Bemerkenswert ist, dass entsprechende Forderungen nicht nur aus den Reihen der Legal Tech Unternehmen und einem Teil der Anwaltschaft erhoben wurden, sondern auch von der Gerichtspraxis und den Rechtswissenschaften unterstützt bzw. initiiert wurden.

Dies verwundert bei näherer Betrachtung nicht. Die Masseverfahren der letzten Jahre (wie bspw. der Dieselabgas-Skandal) haben die Überlastung der Gerichte exponentiell verstärkt. Auch dadurch bedingt sind die Gerichtsbarkeiten in Deutschland derart an ihre Grenzen gestoßen, dass nach Studienlagen erhebliche Rechtsdurchsetzungsdefizite in Deutschland bestehen.1 Insofern besteht ein starkes Bedürfnis zur Schaffung von ressourcenschonenderen Arbeitsweisen innerhalb der Justiz.

Der bisher (kaum) existierende elektronische Rechtsverkehr wird nicht nur von den Bürgern, sondern auch von den Prozessbeteiligten (wie etwa beA von der Anwaltschaft) als umständlich und kompliziert empfunden. Dies wird durch gelegentliche Defizite in der Funktionsfähigkeit unterstützt.

Es ist von jeher eine Kernforderung des Legal Tech Verband Deutschland, dass der Zugang zum Recht für Bürger auch in der Realität ermöglicht und gefördert werden muss. Es muss der Anspruch eines effektiven Rechtstaates sein, seinen Bürgern zu ermöglichen, deren Ansprüche einfach, komfortabel und zügig durchzusetzen. Die Bürger müssen von dem generellen digitalen Fortschritt nunmehr auch im Rechtswesen in ähnlicher Weise profitieren, wie sie dies in anderen Lebensbereichen bereits in den letzten Jahren getan haben. Der digitale Wandel hat für die Bürger viele Vereinfachungen und Annehmlichkeiten – beispielsweise bei der Inanspruchnahme von Dienstleistungen und Warenkäufen – mit sich gebracht. Die Digitalisierung muss nunmehr auch in der Justiz zu einer Besserstellung der Bürger – vor allem in der Rolle als Verbraucher – führen. Der Legal Tech Verband Deutschland hat zur Förderung dieses Zwecks stets die Schaffung von Reallaboren gefordert. Umso mehr ist zu begrüßen, dass durch den Referentenentwurf solche nunmehr ermöglicht werden.

Ferner fördert der Referentenentwurf die Schaffung von weitergehenden Konfliktlösungsangeboten für die Parteien durch die Justiz und greift damit eine weitere Kernforderung des Legal Tech Verband Deutschland auf.

 

2. ANMERKUNGEN DES LEGAL TECH VERBAND

Vor dem dargelegten Hintergrund unterstützt der Legal Tech Verband den Referentenentwurf uneingeschränkt.

So ist zu begrüßen, dass für die Anwendung in der Praxis ein weiter Gestaltungsraum geschaffen wurde, der es ermöglicht, flexibel zu agieren. So spricht § 1121 ZPO-E von einer „praktischen Erprobung und dem Lernen für eine mögliche dauerhafte Regulierung neuer digitaler Technologien, Kommunikationsformen und neuer Verfahrensabläufe in der Zivilgerichtsbarkeit.“

Einem Reallabor sind Rückschläge immanent. Maßgeblich ist das „Lernen“ aus derartigen vermeintlichen Misserfolgen. Deshalb ist es wichtig, dass man von vornherein ein Mindset für einen konstruktiven und innovativen Umgang mit Fehlern im Gesetz angelegt hat.

Sinnvoll ist auch die Verortung der Regelungen im Zuständigkeitsbereich der Amtsgerichte, wodurch nach dem Leitgedanken des § 79 ZPO dem Bürger das Auftreten in eigener Sache uneingeschränkt auch ohne Einschaltung eines Rechtsanwalts ermöglicht werden soll. Bisher haben Bürger auch vor den Amtsgerichten überwiegend einen Rechtsanwalt in Anspruch genommen. Der Referentenentwurf bietet insoweit die Chance, durch attraktivere Prozesse die Selbständigkeit der Bürger beim Zugang zum Recht zu fördern.

Eng verbunden mit der Forderung nach einem zeitgemäßen Prozessrecht ist die Neustrukturierung des Sachvortrags der Parteien. Der Entwurf greift daher auch das schon lange bestehende Bedürfnis einer verbesserten Übersichtlichkeit des Parteivortrag auf, indem § 139 ZPO durch den neuen § 1125 ZPO-E ergänzt und digitale Eingabesysteme durch Plattform nach § 1130 Absatz 1 ZPO-E geschaffen werden sollen. Dies kann bei einer attraktiven Gestaltung der Eingabesysteme nicht nur zu einer Vereinfachung für die Parteien führen, sondern auch Einsparung wertvoller Arbeitsressourcen im Rahmen der Justiz ermöglichen. Aber auch außerhalb des Vortrags im Rahmen neuer Eingabesysteme ist es zu begrüßen und wünschenswert, dass Gerichte auf Grundlage der §§ 130, 138, 139 ZPO sowie § 1125 ff. ZPO-E eine stärkere Führung der Verfahren übernehmen können.

 

3. KERNFORDERUNGEN DES LEGAL TECH VERBANDES

Ob der Referentenentwurf zu einem Erfolgsmodell führt, welcher dauerhaft in die ZPO Einzug erhalten wird, wird von der Umsetzung in der Praxis abhängen.

Unsere Forderungen für die Umsetzung lauten wie folgt:

  • Von dem weiten Gestaltungsraum sollte umfassend Gebrauch gemacht werden und eine Vielzahl von Anwendungsfeldern für die Bürger eröffnet werden.
  • Die Schaffung von weitergehenden Konfliktlösungsangeboten für die Parteien sollte dabei ein Schwerpunkt sein.
  • Die digitalen Eingabesysteme sollten eine Strukturierung des Sachvortrags ermöglichen, welche sowohl mit einer Vereinfachung für die Parteien als auch mit einer Einsparung von Justizressourcen einhergeht.
  • Die Zugangsschwellen für die Parteien sind niedrig zu gestalten. Diese erscheinen als viel zu kompliziert. Es kann nicht gelingen, wenn man keine Nutzungsvorgaben macht. Es existieren einfachere Wege (wie etwa die BUND-ID), die genutzt werden können. Die grds. jedenfalls nicht falsche Rücksicht auf den Internetabgewandten Teil der Gesellschaft darf nicht die großen Chancen, die mit der Digitalisierung verbunden sind, außer Acht lassen.
  • Entsprechenden Angebote sind durch sinnvolle (Aufklärungs-) Kampagnen derart publik zu machen, dass die Bürger Kenntnis erlangen, für welche Ansprüche die digitalen Angebote genutzt werden können.
  • Die Eingabesyteme sollten für Bürger derart attraktiv gestaltet werden und durch selbsterklärende Navigations- und Assistenzfunktionen unterstützt werden, dass sich die Zielsetzung der Stärkung eines bürgernahen Zugangs zum Recht durch den Abbau von Zugangshürden verwirklichen kann.
  • Die Plattformlösungen sollten mittel- und langfristig geeignete Datentransferlösungen bereithalten, um die Zukunftsfähigkeit zu gewährleisten.
  • Die Plattformlösungen sollten eine derart strukturierte Datenaufbereitung beinhalten, dass zukünftig auch KI-Systeme daran anknüpfen können.
  • Ein konstruktiver und innovativer Umgang mit Fehlern muss gewährleistet werden (modernes Fehlermanagement).
  • Ein bisher nicht vorgesehener Wechsel vom Onlineverfahren ins Regelverfahrens oder umgekehrt ist zu überbedenken, um eine weitere Flexibilisierung zu ermöglichen.
  • Innerhalb der Beweiserhebung ist zu überdenken, ob ein genereller Freibeweis zugelassen werden sollte, um eine signifikante und sinnvolle Beweiserhebung zu ermöglichen.

 

4. FAZIT

Durch den Referentenentwurf ist ein weitgehender Rahmen für die Gestaltung von fortschrittlichen, digitalen und bürgernahen Gerichtsverfahren gesetzt worden, welche es den Bürgern ermöglichen, ihre bestehenden Ansprüche einfach, effektiv und zügig durchzusetzen. Dies bietet allen Beteiligten eine große Chance, die überfällige Novellierung der ZPO einzuleiten und die deutsche Justiz einer modernen digitalen Transformation zuzuführen.

Der Erfolg der damit verbundenen Reallabore wird stark von der praktischen Umsetzung abhängen. Dabei muss es durch geringe Zugangsschwellen gelingen, eine Akzeptanz bei den Bürgern zu schaffen, so dass der Zugang zum Recht sich auch faktisch verbessert. Zur Erreichung dieses Zwecks müssen die Bürger einerseits über die neuen digitalen Angebote aufgeklärt werden und andererseits die Angebote derart attraktiv gestaltet werden, dass deren Inanspruchnahme mit einer ähnlichen Erleichterung bzw. Entlastung verbunden ist, wie dies in anderen Lebensbereichen durch den digitalen Wandel bereits der Fall ist.