NEUES RECHTSGUTACHTEN ZUM FREMDBESITZVERBOT AN RECHTSANWALTSKANZLEIEN IN DEUTSCHLAND – REFORMEN GEFORDERT

 

Aktuelles EuGH-Urteil zum Fremdbesitzverbot steht Reformbedarf nicht entgegen

Das am 9. Januar 2025 in Berlin vorgestellte Gutachten von Prof. Dr. Dr. h.c. Jörn Axel Kämmerer von der Bucerius Law School befasst sich mit dem sog. Fremdbesitzverbot in der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) und zeigt Handlungsbedarf für den Gesetzgeber auf. Die aktuelle Rechtslage wird als eindeutig europarechtswidrig eingestuft, und es werden verschiedene internationale Regulierungsbeispiele vorgestellt, die als Inspiration für eine Neuregelung in Deutschland dienen könnten. An diesem Regelungsbedarf ändert auch das am 19.12.2024 ergangene Urteil des EuGH in Sachen Halmer Rechtsanwaltsgesellschaft (C-295/23), das sich auf die bis 2022 geltende Rechtslage bezieht, nichts.

Markus Hartung, Beiratsmitglied des Legal Tech Verband Deutschland dazu: „Der Europäische Gerichtshof hat mit seiner Entscheidung eine historische Chance verpasst, den Weg für innovative und zukunftsorientierte Strukturen in der Anwaltschaft zu ebnen.“ Der EuGH hatte in dem Urteil die bisherigen Beschränkungen für Beteiligungen gewerblicher Investoren an Anwaltsgesellschaften bestätigt. „Eine Öffnung des Marktes in Deutschland ist damit aber keinesfalls vom Tisch und sollte in der kommenden Legislaturperiode eines der zentralen politischen Themen für den deutschen Rechtsmarkt sein“, so Hartung.

 

Blick auf andere Länder und hoher Finanzbedarf in Kanzleien

Das Gutachten untersucht die Vereinbarkeit des Fremdbesitzverbots mit dem Europäischen Unionsrecht, insbesondere im Kontext der Reform von 2021, die weiterhin Nicht-Freiberuflern und damit insbesondere gewerblichen Akteuren wie Legal-Tech-Unternehmen und Rechtsschutzversicherern den Zugang zu Kapitalbeteiligungen verwehrt. Dabei wird auch auf internationale Entwicklungen eingegangen, die zeigen, dass in Ländern wie Großbritannien und Australien Kapitalbeteiligungen an Kanzleien erlaubt sind und keine negativen Auswirkungen auf das Angebot und die Qualität der Rechtsberatung insgesamt festgestellt worden seien.

Durch Digitalisierung und den Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der Rechtsberatung besteht ein erheblicher Bedarf an Investitionen. Diese Investitionen sind notwendig, um mit den hohen Marktzugangskosten, wie beispielsweise den Kosten für Online-Werbung, vor allem aber auch bei Entwicklung und Einsatz von Technologie für die rechtliche Beratung als Solche, Schritt zu halten. Deutsche Kanzleien können im internationalen Wettbewerb benachteiligt sein, wenn ihnen die Möglichkeit zur Kapitalbeteiligung verwehrt bleibt, während Kanzleien in anderen Ländern diese Chancen bereits nutzen. Einen hohen Finanzbedarf in Kanzleien hat auch der am 7. Januar 2025 erstmals veröffentlichte Legal Tech Monitor bestätigt (vgl. Pressemitteilung, abrufbar unter:

https://www.legaltechverband.de/aktivitaeten/legal-tech-monitor-2025-eine-branche-im-aufbruch/).

 

Risiken einer Öffnung des Fremdbesitzverbots

Das Gutachten behandelt auch die Risiken, die mit Kapitalbeteiligungen durch Dritte verbunden sind. Oft wird die Befürchtung geäußert, externe Kapitalgeber könnten die Unabhängigkeit der Rechtsanwälte und die geordnete Rechtspflege gefährden. Das Gutachten fordert jedoch eine differenzierte Betrachtung möglicher Gefahrenlagen. Auch bei anderen – nicht verbotenen – finanziellen Verflechtungen besteht das Risiko, dass Einfluss auf Entscheidungen einer Kanzlei genommen werden können, es wird aber als beherrschbar eingeschätzt. Für die Wahrnehmung individueller Mandate bestehe in der Regel keine konkrete Gefahr, dass externe Kapitalgeber Einfluss auf die Bearbeitung nehmen könnten, da anwaltliche Verschwiegenheits- und Berufspflichten unangetastet bleiben.

Die Erfahrungen aus dem Gesundheitswesen, insbesondere mit Medizinischen Versorgungszentren (MVZ), werden oft als Argument gegen Kapitalbeteiligungen angeführt. Obwohl sich Finanzinvestoren unter bestimmten Voraussetzungen im Gesundheitssektor etabliert haben, ist die Übertragbarkeit dieser Erfahrungen auf den Anwaltsmarkt nach Auffassung von Professor Kämmerer begrenzt. Die wirtschaftlichen Bedingungen für Kanzleien unterscheiden sich erheblich von denen im Gesundheitswesen, und die anwaltliche Selbstregulierung legt einen stärkeren Fokus auf die Unabhängigkeit der Berufsausübung.

 

Inkohärenz der aktuellen Rechtslage wird bejaht

Das Gutachten zeigt zudem, dass das Fremdbesitzverbot in Deutschland inkohärent geregelt ist, da Mitgliedern unregulierter Freier Berufe – und faktisch ausgeschiedenen Rechtsanwälten – die Möglichkeit der Kapitalbeteiligung eröffnet wird, anderen Akteuren aber nicht. Damit werde das legislative Ziel, Fremdbeeinflussung durch Kapitalbeteiligung zu unterbinden, durch den Gesetzgeber selbst ausgehebelt. Diese Widersprüche verletzen das unionsrechtliche Kohärenzgebot. Die Entscheidung des EuGH steht diesem Ergebnis gerade nicht entgegen. „Die Entscheidung des EuGH bleibt oberflächlich und greift zentrale Aspekte, wie die vom Generalanwalt aufgezeigten Inkohärenzen erst gar nicht auf. Nun liegt es am BayAGH, die europarechtlichen Vorgaben zu interpretieren und eine tragfähige Lösung auf nationaler Ebene zu finden.“, sagt Markus Hartung.

Der Autor betont, dass eine Beseitigung der Inkohärenz, für die mehrere mögliche Wege aufgezeigt werden, noch keine Unionsrechtskonformität garantiere; verbleibende Kapitalbeschränkungen müssten auch erforderlich und im engeren Sinne verhältnismäßig sein. Die pauschale Untersagung jedweder externer Kapitalbeteiligung wird als problematisch eingeordnet. Es komme darauf an, ob aus Beteiligungen angesichts der Umstände (Gesellschaftsform, Satzung, Beteiligtenstruktur etc.) hinreichend signifikante Risiken erwüchsen. Eine „pauschale Ablehnung“ komme nur bei Beteiligungen über 50 Prozent oder mehr in Betracht:

„Das pauschale und ausnahmslose Verbot einer externen Kapitalbeteiligung […] ist lediglich bei Beteiligungen über 50% mit einiger Sicherheit anzunehmen, bei geringeren Beteiligungen, insbesondere solchen, die dem Kapitalgeber kein höheres Stimmgewicht als einem einzelnen beteiligten Anwalt vermitteln, kann es fragwürdig sein..“ (vgl. S. 66 im Gutachten).

 

Insgesamt wird deutlich, dass die bestehenden Regelungen zur Fremdbeteiligung einer tiefgehenden Überprüfung bedürfen, um sicherzustellen, dass sie den Anforderungen an Kohärenz, Verhältnismäßigkeit und dem Schutz der Unabhängigkeit der Anwaltschaft gerecht werden.

 

Reformvorschläge

Das Gutachten schlägt schließlich auch Reformoptionen vor, um Kapitalbeteiligungen unter bestimmten Bedingungen zuzulassen, ohne die Unabhängigkeit der Anwaltschaft zu gefährden, und in einer Erprobungsphase zu ermitteln, wie sie wirken. Eine Möglichkeit könnte die Einführung von „Alternative Business Structures“ (ABS) nach britischem Vorbild sein, die keine negativen Auswirkungen auf die Unabhängigkeit der Anwälte gezeigt haben. Darüber hinaus könnte eine „Regulatory Sandbox“ eingerichtet werden, in der Kapitalbeteiligungen unter kontrollierten Bedingungen getestet werden, um empirisch zu prüfen, ob die befürchteten Risiken tatsächlich eintreten.

 

KONTAKT

Bei Rückfragen steht Ihnen die Geschäftsführerin des Legal Tech Verband Deutschland e.V. gerne persönlich zur Verfügung.